Der Icebreaker, der nicht Icebreaker heißen darf

Icebreaker

Chad Littlefield hat sich mal wieder schlaue Gedanken gemacht über die Frage: Wie bricht man das Eis bei Menschen, die Icebreaker nicht ausstehen können.

Ich zitiere oft Chad Littlefield. Es gibt einige Menschen in meinem Umfeld, die sagen, ich sollte das nicht tun, ich sollte seine Ideen weiterentwickeln und zu meinen machen. Das tue ich auch in Workshops und Seminaren. Aber das muss ich hier nicht tun. Wenn ich durch Chad auf eine Idee gestoßen bin, kann ich auch schreiben, dass sie von Chad ist. Und ich werde das weiterhin regelmäßig tun, weil die Videos von Chad einfach auch Spaß machen.

So wie das jüngste Video. Es erschien unter dem Stichwort Icebreaker und tatsächlich musste ich für ein großes Kundenprojekt (schnelle Autos aus Zuffenhausen), Ideen für das „optimale Event“ entwickeln. Und eine Frage, die ich mir stellte war, wie erzeuge ich ein engagiertes Publikum. Eines, dass Spaß hat am Machen und nicht nur die Entspannung der Content-Berieselung genießt. Eines, dass die frohe Kunde von einer gelungenen Veranstaltung in die Welt hinausträgt und dem Veranstalter beim nächsten Event noch mehr Nachfrage beschert.

Jeder Workshop-Leiter kommt am Schlagwort Icebreaker nicht vorbei, wenn es darum geht, Engagement zu erzeugen. Und jeder von uns weiß, dass es da draußen ganz viele potentielle Teilnehmer an Events gibt, die genau das nicht leiden können. Sie haben eine Icebreaker-Allergie. Schon das Wort allein sorgt für gymnastisches Augenrollen und verzweifeltes „Den-Kopf-Zwischen-Die-Hände-Sacken-Lassen“.

Lektion 1 von Chad Littlefield

Icebreaker heißen nicht Icebreaker. Chad Littlefield benutzt die Umschreibung: Connection before Content.

Nichts wirkt peinlicher, als wenn der Workshopleiter oder die Workshopleiterin die Teilnehmer begrüßt mit: „So, schön, dass Ihr alle da seid, wir machen jetzt einen kleinen Icebreaker damit wir uns besser kennenlernen“. Das ist für viele der perfekte Zeitpunkt, um die Kamera auszuschalten und sich einen Kaffee zu holen. Oder – wenn es eine Präsenzveranstaltung ist – geschäftig auf dem Smartphone zu tippen oder in der Aktentasche zu wühlen. ICH WILL NICHT, leuchtet in Neon-Lettern auf den gerunzelten Stirnen.

Tipp 1 von Frank P.

Macht den Menschen klar, dass Ihr deren Aversion kennt und versteht. Ihr müsst dem Eindruck entgegenwirken, dass die Teilnehmer von euch denken, Ihr fahrt hier ein Programm nach dem „Schema F“ ab, so wie man es auf der Workshop-Leiter-Hochschule lernt, ungeachtet der Wünsche und Bedürfnisse des heutigen Publikums.

Chad Littlefield schlägt vor, dass man diese Aversion direkt anspricht. „Ich weiß, Ihr mögt keine Icebreaker“. Das kann man tun, bringt den Workshopleiter aber aus meiner Erfahrung in eine unnötige Defensivposition. Selbstbewusster wird das Ganze, wenn die Argumentation WARUM man den Icebreaker macht, für sich selbst sprechen lässt. Dann erschließt sich auch dem logisch und rational geprägten Teilnehmer, dass es einen Sinn hat, hier bereits aktiv teilzunehmen.

Lektion 2 von Chad Littlefield

„Wir werden gleich sehr viele Details in unserem Projekt bearbeiten müssen, damit es gut wird. Lasst uns für eine kurze Minute den Fokus auf kleine Details lenken, um unsere Gehirne vorzubereiten“. So oder so ähnlich schafft man eine direkte Verbindung zwischen dem Content und dem Icebreaker. Dass es nebenbei auch darum geht, Gruppendynamik zu erzeugen und den Teilnehmern hilft, sich schneller einzufinden oder sogar kennenzulernen, wird erst gar nicht erwähnt.

Tipp 2 von Frank P.

Es geht noch direkter. Wer hat die Regel erfunden, dass Icebreaker partout nichts mit dem Content zu tun haben sollen, sondern eher mit dem Privatleben der Menschen. Die beliebte Schneeballschlachtfür die es leider kein digitales Pendant gibt – sieht ja vor, dass man etwas auf einen Zettel schreibt, diesen zerknüllt und auf Ansage bewerfen sich die Teilnehmer gegenseitig mit den „Schneebällen“.

Aber was schreibt man auf die Zettel? Theoretisch kann man alles Mögliche nutzen, zum Beispiel den Lieblings-Kinofilm, den Aufreger der Woche, die Guilty Pleasures (kleine Alltagssünden). Aber diese Beispiele bleiben immer irgendwie in der Luft hängen. Das ist gut für Ideen-Workshops und Kreativitäts-Trainings. Das ist schlecht für zielgerichtete Produkt- oder Business-Events. Für letztere sollte man lieber eine Frage nehmen, die die Teilnehmer in ihrem Leid verbindet. „Was funktioniert bei eurem Onlinemarketing überhaupt nicht?“. „Was würdest Du am Liebsten im Büro ändern?“. Dadurch, dass die Zettel anonym sind und durcheinander geworfen werden, outet man sich nicht, man greift niemanden an.

Was man aber beim Vorlesen der Zettel erlebt, ist dass mehrere Menschen in der Gruppe die gleichen Probleme haben oder von Ähnlichem genervt sind. Diese sogenannten Pain-Points sind der beste Einstig in einen Workshop, der dazu gemacht ist, Probleme zu lösen. Der Workshop-Leiter kann sie den ganzen Tag über nutzen, um den Content immer wieder damit zu verbinden und dadurch geht er mehr oder weniger direkt auf die einzelnen Teilnehmer ein. Und zwischen den Teilnehmern entstehen Verbindungen, weil sie Leidensgenossen sind.

Lektion 3 von Chad Littlefield

Rationale Menschen denken permanent in einem Aufwand-Nutzen-Verhältnis. Genau deshalb gibt es eine Aversion gegen Icebreaker. Sir werden als nutzlos wahrgenommen. Chad schlägt zunächst vor, den Aufwand ebenso Richtung „0“ zu drehen. „Es dauert nur eine Minute“, „Schreibt nur ein einziges Wort auf“. Dadurch wird die Balance zwischen Aufwand und Ertrag verbessert.

Man kann aber auch – oder zusätzlich – die Ertragserwartung steigern. „Wir gehen auf das Thema gesondert ein, das am Häufigsten genannt wird“. „Wir stellen die Gruppen für die Breakouts danach zusammen, welche Begriffe/Probleme zueinander passen“ (das geht anonym freilich nicht). Oder man zieht eine wissenschaftliche Grundlage hinzu: „Eine Studie XY hat gezeigt, dass Menschen effektiver zusammenarbeiten, wenn sie zuvor kurz den Fokus auf etwas anderes verlagert haben“.

Chad spricht auch gerne von einem „Experiment“ statt von Icebreaker. Das ist ein Terminus, der auch rationalen Menschen zugänglich ist und er verspricht nichts Konkretes, aber etwas Neues. Dadurch wird die natürliche Neugier des Menschen getriggert.

Chad Littlefield referenziert auf Google. Die „psychosoziale Sicherheit“ innerhalb der Gruppe, ist der entscheidende Faktor, der Gruppen erfolgreicher macht. Diese Sicherheit entsteht unter anderem dadurch, dass die Teilnehmer einander als „Menschen“ sehen. Deshalb ist es wichtig, dass die Icebreaker-Aufgabe einen persönlichen Bezug hat. Und es ist extrem hilfreich, wenn am Beginn eines Workshops der eine oder andere Lacher entsteht. Da könnte der Workshopleiter mit einer eigenen „peinlichen“ Anekdote buchstäblich das Eis brechen.


Artikel der New York Times über die Gruppendynamik bei Google


Chads jüngste Idee ist die „Minute of Minutia“. Eine Minute lang sollen die Teilnehmer eine banale Kleinigkeit aus ihrem Alltag beschreiben. Etwas, was sie sonst nie erzählen, eben weil es so banal ist. Das Spannende ist, dass obwohl die Geschichten weder peinlich noch besonders lustig sind, man also nichts wirklich Persönliches von sich preisgibt, die Teilnehmer doch das Gefühl bekommen, gesehen und gehört zu werden. Und das trägt signifikant zur psychosozialen Sicherheit in der Gruppe bei.

Hier geht’s zu Chads Video. Aber eigentlich habt Ihr das Meiste schon verstanden, inklusive ein paar eigener Gedanken von meiner Seite.   

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