Der Kampf gegen Zoom-Müdigkeit
Corona und die Zwangsdigitalisierung haben die Idee von Online-Meetings zur Explosion gebracht. Dabei wird gelegentlich übersehen, dass der Mensch nicht dafür gemacht ist, den ganzen Tag lang am Bildschirm in freundliche Menschengesichter zu schauen.
44 Prozent der Mitarbeiter von Robert Half, einer kalifornischen Zeitarbeitsfirma vergleichbar mit Randstad, leiden zumindest gelegentlich an Zoom-Müdigkeit und außerordentlicher Erschöpfung nach einem Tag voller digitaler Meetings. 15 Prozent der Mitarbeiter findet Videokonferenzen weitgehend ineffizient und oft überflüssig.
Das Phänomen trifft Frauen härter als Männer, sagt eine Studie der Universität Stanford aus dem Frühjahr 2021. Jede siebte Frau (13,8%) fühlt sich oft erschöpft oder sehr erschöpft. Gleiches gilt nur für 5,5 Prozent aller Männer.
Dieser deutliche Unterschied, bringt uns schon auf die Spur, was die Gründe für Zoom-Müdigkeit sind. Frauen tendieren dazu, ihren eigenen Auftritt gegenüber Kollegen stärker zu kontrollieren, sei es in Sachen Outfit und Bildhintergrund oder auch, was die Körperhaltung angeht. Die Zoom-Kamera dient als Dauerspiegel.
Gleichzeitig achten Frauen intensiver auf die non-verbalen Signale des Publikums. Das kann deren Mimik sein, die Körpersprache oder der vermutete Grad der Aufmerksamkeit. Alles zusammen führt dazu, dass die Menschen versuchen, in den kleinen Zoombildern die gleichen Signale zu lesen, die man teilweise implizit in realen Meetings wahrnimmt. Und das ist signifikant anstrengender, als eine Excel-Datei zu bearbeiten oder einen Netflix-Film zu schauen.
In einem lesenswerten Blog-Post des Teams der Konferenz-Software Wonder, werden folgende Faktoren genannt, die zu Zoom-Fatigue führen:
- Exzessiver Augenkontakt: Selbst wenn ein anderer präsentiert, fühlt man sich beobachtet.
- Das digitale Spiegelbild führt zu permanenter Selbstkontrolle.
- Reduzierte Mobilität zwischen Meetings
- Kognitive Überlastung durch die vielen kleinen Signale aus den vielen Kameras
- Ablenkung durch technische Probleme und störendes Verhalten anderer, die sich gerade mal einen Kaffee holen oder während des Meetings andere Tätigkeiten ausführen
Im Grunde ergibt sich aus dieser Analyse auch bereits die Gegenstrategie. Geht man jedes dieser fünf Probleme einzeln an, reduziert man die ermüdende Wirkung deutlich.
Der exzessive Augenkontakt wird vermieden, in dem man einerseits die Teilnehmer nach einer Begrüßung dazu auffordert, die Kamera auszuschalten. Sinnvoll ist, das Standard-Icon der jeweiligen Software (oft die Initialen) durch ein freundliches Foto des Speakers zu ersetzen. Der angenehme Nebeneffekt dieses Ansatzes ist, dass sich die Datenlast bei allen Teilnehmern deutlich verringert und somit auch der Stromverbrauch der Konferenz. Das ist durchaus auch ein umweltpolitisches Thema.
Das permanente Betrachten des digitalen Spiegelbilds wird dadurch ebenso verringert. Außerdem ist es sinnvoll, die Konferenzsoftware so zu konfigurieren, dass der Haupt-Sprecher oder dessen geteilter Bildschirm im Vollbild übertragen wird. Das können User bei den meisten Clients selbst einstellen. Da wäre ein Leitfaden hilfreich. Und wenn die User Ihre Kameras ausschalten, werden die Nutzer selbst dazu übergehen, den aktiven Speaker und seine Inhalte noch größer zu inszenieren. Eine ganz schlechte Idee ist hingegen, während der Konferenz in einem anderen Fenster oder auf einem zweiten Bildschirm andere Arbeiten auszuführen, es sei denn, die Aufmerksamkeit einzelner ist nicht während des ganzen Meetings nötig. Dann kann der kurze „Ausflug“ sogar entspannend wirken.
Zu Mehr Mobilität kann man die Menschen nur auffordern. Der erste Schritt ist die Zwangspause zwischen Back-to-back-Meetings. Sie sollte genügen, um zur Toilette gehen oder sich einen Kaffee holen zu können. Der Moderator kann auch aktiv dazu auffordern mit dem Hinweis: In den nächsten fünf Minuten passiert hier nichts.
Bei Einzelveranstaltungen wie zum Beispiel Workshops kann man sich Ice-Breaker-Techniken zunutze machen, um die Menschen in Bewegung zu versetzen. Man fordert die Menschen beispielsweise auf, einen „besonderen“ Gegenstand aus der eigenen Wohnung zu holen und ihn den anderen zu zeigen und zu erklären. Das ist gleichzeitig gutes Team-Building.
Aber natürlich ist auch der einzelne gefordert, seinen Körper in Bewegung zu versetzen. Das beginnt bei der regelmäßigen Veränderung der Sitzhaltung. Der in den neunziger Jahren populäre Sitzball könnte helfen. Ideal ist, wenn man sich zusätzlich zum Schreibtisch noch eine Möglichkeit schafft, wie man stehend an Videokonferenzen teilnehmen kann. Das ist auch sehr ratsam, wenn man richtig gut bei einem eigenen Vortrag performen möchte. Die Präsenz im Stehen ist auch bei der Digitalübertragung wesentlich stärker als sitzend.
Gegen die kognitive Überlastung hilft das Ausschalten der Kameras ebenso. Wer in Clubhouse oder Twitter Spaces reinen Audiokonferenzen gefolgt ist, weiß, dass sie sich wesentlich weniger anstrengend anfühlen. Und gleichzeitig steigt sogar die Aufmerksamkeit auf die Inhalte. Drittens entsteht im Audio-Format etwas mehr Spontanität.
Außerdem sorgen möglichst simple virtuelle Hintergründe dafür, die Ablenkung zu minimieren. Innerhalb des Unternehmens könnte man eine Handvoll Corporate-Backgrounds entwerfen. Die könnten die Teilnehmer dann auch nutzen, wenn sie extern präsentieren.