Consumer Electronics Show : Wenn keiner kommt
Wenn eine Veranstaltung, zu der 2019 noch 160.000 Besucher kamen, plötzlich in den Lockdown geschickt wird, ist das eine gewaltige Herausforderung für Moderatoren. Nicht jeder ist dem gewachsen, wie die CES-Keynote von Hyundai zeigte.
Die Consumer Electronics Show in Las Vegas ist eine, wenn nicht die wichtigste Jahresmesse in Sachen Elektronik. Früher ging es vor allem um Gadgets. Kleine technische Neuerungen rund um PCs, Tablets und Smartphones, die das alltägliche Leben der Nutzer angenehmer und vielleicht auch effizienter machen sollten.
Dann, so Mitte der ersten Dekade des einundzwanzigsten Jahrhunderts, erweiterte sich das Portfolio deutlich in Richtung Elektrifizierung des Haushalts. Die neuesten Fernseher hatte es auf der CES schon immer gegeben, sie bildete das US-Pendant zur deutschen IFA. Nun aber erweiterten vor allem die beiden großen Platzhirsche Samsung und LG Electronics (beide aus Korea) ihr Portfolio signifikant. Vom intelligenten Kühlschrank, der erkennt, wann die Milch abläuft, bis zum unverzichtbaren Staubsaugerroboter, der gleichzeitig per Kameras die Wohnung kartographiert und die Kinder beim Spielen überwacht, ist es der Wunsch der Tech-Giganten, dass jedes und alles im Haushalt elektrisch geschehe.
Natürlich auch das Zähneputzen. Der Anreiz dafür ist erhebliche Zeitersparnis. 2020 wurde der Y-Brush vorgestellt, eine Zahnbürste, die eher aussieht, wie der Mundschutz eines Eishockeyspielers. Mittels Ultraschall reinigt sie die Zähne angeblich in zehn Sekunden.
Und dann plötzlich – es mag so um 2014 gewesen sein – fielen die Automobilhersteller über die CES her. Da – dank Elon Musk – die Definition des modernen Autos „Smartphone auf Rädern“ lautete, war es folgerichtig, früh im Jahr Innovationen zu zeigen, die etwas weniger auf Antriebsstrang und Bremskraftverstärkung als auf Passagier-Unterhaltung und digitaler Personalisierung des Fahrerlebnisses setzten. Das Auto ist kein Fortbewegungsmittel mehr, es gehört zum digitalen Lifestyle. Dieses Jahr feierte die Branche erneut die Elektrifizierung und wachsende Autonomität.
Der Big Bang als Rohrkrepierer
Die Automobiler haben eine große Erfahrung bei der Inszenierung ihrer Produkte. Sie haben zum Beispiel auf einer IAA ganze Hallen zur Verfügung, um gleich mehrere Varianten eines neuen Fahrzeugs nicht nur zeigen zu können, sondern auch fahren zu lassen. Sie sind sich der ungeteilten Aufmerksamkeit der Automobilfachpresse sicher und können darob Inszenierungen mit Spannungsbogen fahren, die der klassischen Dramaturgie einer Heldenreise entsprechen.
Aber was passiert, wenn keiner kommt?
Die Omikron-Variante des Corona-Virus hat der CES dieses Jahr gewaltig zugesetzt. Von den 2200 angemeldeten Ausstellern konnten nur die der Messe fernbleiben, die es sich leisten können, einen teuren Stand einfach mal leer zu lassen. Amazon, Google oder BMW gehörten dazu. Sie nutzten nur die Livestreams, um Produkte zu zeigen und konnten das wunderbar aus dem gut ausgestatteten Fernsehstudio im Firmenhauptquartier tun.
Hyundai entschied sich anders. Man hielt an der ursprünglichen Konzeption fest und präsentierte live in Las Vegas. Da auch viele Pressevertreter auf den Besuch in der Wüste Nevadas verzichtet hatten, fand die Show in einem viel zu großen Saal vor geschätzt 100 Zuschauern statt.
Und damit kamen weder die Speaker noch die Moderatorin zurecht. Schon das technische Setup war mehr als unglücklich. Die riesige Leinwand hat einen Formfaktor von vielleicht 160 zu 9. Sie umspannte fast die ganze Bühne und sieht live zweifellos beeindruckend aus, fast wie ein Rundum-Kino. Aber sie funktioniert im Stream überhaupt nicht. Die Video-Einspieler zeigten fette schwarze Balken oben und unten im Bild, damit die volle Breite in das 16:9-Format des Streams passt. Die Kamera musste so weit rauszoomen, dass die Inhalte kaum mehr zu erkennen waren.
Und das wäre nicht mal nötig gewesen. Der Hauptteil der Inhalte und die eingeblendeten Texte fanden allesamt in der Mitte der Leinwand statt. Man hätte also hinein zoomen können, um ein anständiges Vollbild zu generieren.
Apropos Kamera. Hier müssen wohl die Veranstalter der CES Asche aufs eigene Haupt streuen. Offensichtlich hatte man die Standpositionen der Speaker vorher nicht festgelegt oder auf dem Boden markiert. Andauernd wechselten die Speaker zwischen dem Hintergrundbild von der Video-Leinwand und einem komplett schwarzen Hintergrund, der dann erschien, wenn die Kamera in zu spitzem Winkel versuchte, den Redner einzufangen und dadurch die Hallenwand als Hintergrund einfing.
Komplett überfordert mit der Situation war die Moderatorin Nicole Scott. Schon während der eigenen, einleitenden Worte suchte sie händeringend nach Feedback aus dem spärlichen Publikum. Die eigenen Gags und Anspielungen verhallten aber – wie in Corona-Zeiten normal – im Nirvana des Digitalstreams. Statt selbstbewusst weiterzumachen oder mit der Situation zu spielen, unterbrach sie sich selbst und wartete auf den Applaus. Aber der kam natürlich nicht.
Und Nicole Scott ist wahrlich kein Anfänger. Seit Jahren berichtet sie für MobileGeeks von der CES. Ihre Videos überzeugen durch eine frische und freche Herangehensweise, bei der Nicole auch mal eine Innovation als absurd brandmarkt.
Aber das passiert natürlich nicht bei einer Auftragsproduktion für einen koreanischen Konzern. Als sie den Vizepräsidenten von Hyundai, Dong Jin Hyun, auf die Bühne bat, wählte sie eine neue Strategie und applaudierte sich selbst. Es ist verständlich, dass gerade in asiatischen Unternehmen eine ehrfürchtige Distanz zu den C-Level-Abgeordneten existiert Das hat viel mit der dortigen Firmenkultur zu tun. Aber es wirkt komplett aus der Zeit gefallen, wenn eine US-Moderatorin vor einem ihrer Bosse virtuell auf die Knie fällt und einfältig zu Pointen lacht und applaudiert, die nicht greifen.
Letzteres hat freilich auch mit Dong Jin Hyun zu tun. Er lass seinen Vortrag offensichtlich vom Monitor ab, der aber nicht in Sichtlinie mit den Kameras stand. Vom Telepromter sei hier gar keine Rede. Im Skript waren offensichtlich Pausen für Wows und Lacher vorgesehen und die hielt der Koreaner auch strikt ein, in der Hoffnung, die Menschen an den Bildschirmen zuhause würden diese Momente zumindest mental mit ihm teilen. Geskripte Dialoge, wie die Metapher einer Eiskunstläuferin zur Illustration des Bewegungsspielraums eines Hyundai-Fahrzeugs, wirken hölzern, vor allem weil die Moderatorin die passende Nachfrage schon beginnt, als Hyun die Metapher noch gar nicht ganz ausgeführt hat.
Erschwerend kam allerdings hinzu, dass Dong Jin Hyun, ebenso wie eine Reihe anderer großer Vorsitzender asiatischer Konzerne, ein derart radebrechendes Englisch von sich gab, dass die Pointen gar nicht als solche zu erkennen waren, selbst wenn sie inhaltlich welche waren. Wohlgemerkt wir sprechen hier von der wohl schwierigsten Variante von Englisch, nämlich der Variante, die mit technischen Fachbegriffen und Abkürzungen gespickt ist.
Das wird bei Hyundai besonders deutlich im Vergleich zum folgenden Speaker, Chang Song, dem Chef der Abteilung Transport as a Service. Der spricht sauberes Englisch und schon ist Moderatorin Nicole in der Lage, mit ihm in einen echten Dialog zu treten. Auffällig bei Songs Auftritt ist, dass er offensichtlich die Floskel „Thank you for having me“ schwer über die Lippen bringt. Das mag an Nervosität liegen, es wirkt aber, als wäre ihm der Auftritt eher eine lästige Pflicht.
Fazit
Wie bereits an vielen anderen Stellen erwähnt, ist es eine unerlässliche Basis für einen gelungenen Auftritt, dass man die Umgebung in der präsentiert wird und natürlich das Publikum kennt. Die internationalen Pressevertreter, die in Las Vegas waren, verstehen sich als das Gegenteil von Claqueuren. Sie würden sich eher die Zunge abbeißen, statt auf Witze zu reagieren (schreibt ein ebensolcher Journalist). Hier kann man nicht oder nur in Ausnahmefällen mit Applaus rechnen.
Wird eine solche Konferenz im Stream übertragen, so sollte die Kamera beim Video-Intro einen zentralen Ausschnitt im Vollbild wählen. Das wäre bei dem Hyundai-Trailer machbar gewesen, weil die Texteinblendungen alle zentriert platziert waren. Natürlich geht dabei die Peripherie verloren, aber die ist beim Livestream ja sowieso nicht da.
Das Moderationskonzept muss tragen, auch wenn keine Reaktion des Publikums kommt. Über eigene Witze lachen oder sich selbst zu applaudieren dürfen allerhöchstens die Hyperdynamiker unter uns, die insgesamt genau diesen Überschwang ausstrahlen.
Und man sollte sich genau überlegen, ob man auf Englisch präsentiert oder einen Synchron-Dolmetscher ranläßt. Dabei geht es nicht nur um die lupenreine Sprache, sondern auch um den Eindruck, den man dem Publikum vermittelt. Ich habe auf Moderationsbühnen sehr viele selbstbewusste Speaker erlebt, die sich ihrer Englisch-Schwäche (vor allem bei der Aussprache) gar nicht bewusst waren. Das gilt in Europa oft für Italiener und Franzosen, während Schweden und Holländer in der Regel phänomenal englisch sprechen.
Und das gilt unter Umständen auch für deutsche Sprecher. Tanja Rückert, Chief Digital Officer bei Bosch spricht perfektes Englisch, was Wortschatz und Grammatik angeht. Aber es wirkt wie Schulenglisch, das nie in freier Wildbahn verfeinert wurde. Das „th“ wird konsequent und offensichtlich ohne schlechtes Gewissen mit „s“ ersetzt. Das „w“ in „what“ oder „want“ spricht sie mit den oberen Schneidezähnen auf der Unterlippe aus, wie im deutschen „Wasser“. Engländer und Amerikaner setzen virtuell ein „u“ an Stelle des „w“, also „uot“ statt „what“. Das ist eben eine Lautform, die im Deutschen durchaus auch vorhanden ist, aber man muss halt wissen, dass sie hier hingehört.
Wohlgemerkt: Rückerts Vortrag findet auf sehr hohem Niveau statt, auch in Sachen Kamerapräsenz. Aber die Aussprache wirkt ähnlich wie bei Anna-Lena Bärbock etwas unbeholfen und nicht wie bei einer Frau von Welt.